»IHR SEHT MICH WIE EINEN EINZELNEN BAUM AUF FREIEM FELD, ICH BIN ABER DER TEIL EINES WALDES« von Iris Radisch
Wirklich explizit hochlobende Passagen gibt es nicht, aber solche, die, wie ich finde, auf das Werk neugierig machen, und es als Riesenerfolg beschreiben, wie diese:
[…] Die Protagonisten in Mungans Romanen sind einem deutschen Leser fremd – und zugleich vertraut, ihre Schicksale bleiben trotz allem Unbekannten nachvollziehbar. Ihr Alltag, aber auch ihre Persönlichkeit ist geprägt von einer Zerrissenheit zwischen Traditionen und modernen Strömungen, von politischen Entwicklungen, Fortschritten und Katastrophen, die im Westen nicht immer bekannt sind. Seine Geschichten erzählen von der Zerbrechlichkeit scheinbar gefestigter Selbstbilder. So greifen sie das auf, was in einer scheinbar globalisierten Welt immer noch nicht zusammengewachsen ist.
[…] Nach »Tschador« war vor allem der Erzählband »Städte aus Frauen« in der Türkei ein Riesenerfolg: Die hier versammelten kurzen Portraits sehr unterschiedlicher Frauen sind ein facettenreiches Spiegelbild großer gesellschaftlicher Umbrüche in der Türkei. Die Auflösung traditioneller Strukturen führe dazu, dass Frauen mehr und mehr am modernen leben teilhaben, ihre Identität neu erfinden, neue rollen und Positionen einnehmen, sagt Mungan und rückt genau diese Frauenfiguren ins Zentrum seiner Geschichten. Die Veränderungen, von denen die Rede ist, vollziehen sich allerdings nicht reibungslos.
[…]
Iris Radisch ist Literaturredakteurin der Wochenzeitung »Die Zeit«. 2007 veröffentlichte sie »Die Schule der Frauen«. 2008 wurde sie von der Gesellschaft für deutsche Sprache mit dem Medienpreis für Sprachkultur ausgezeichnet.
© KulturForum / Iris Radisch, Die Zeit, Hamburg, März 2011
Auszug aus dem Essay im Begleitheft zur Filmreihe »Menschenlandschaften - Sechs Autorenportraits der Türkei«, hergestellt und herausgegeben vom KulturForum TürkeiDeutschland.
Mehr über den Autor unter www.murathanmungan.com